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Martin Scherber (1907-74)

 

W e i h n a c h t e n  –  e i n  M ä r c h e n ?

 

Gott-Vater hüllte soeben die Erde in ihr himmlisches Schneekristallgewand, als ER zum Christkind sprach: „Wieder ist ein Jahr um. Gehe abermals, mein lieber Sohn, zur Erde und erlöse Menschen, auf dass sie dir in den Himmel folgen.“ Dem Christkind waren diese Worte heilig. Es trat die Wanderung zur Mutter Erde an, wie Gott-Vater es wollte.
 
Als es auf der schneebedeckten Erde ankam, befand es sich in einem tiefen Wald, wo es einem geschäftigen Holzfäller begegnete. „Warum bist du so fleißig, wo doch heute Christgeburt gefeiert wird. Willst du dich nicht bereit machen, das Christkind zu empfangen?“ ‚Ach, liebes Kind, ich muß noch so viele Tannenbäume fällen und zu Menschen bringen. Für mich ist das ganze Weihnachtsfest nur Arbeit. Zum Feiern komme ich wenig. Was soll’s auch. Das Christkind gibt es ja gar nicht.’ Da weinte das Christkind verborgen einen Blutstropfen und verließ den Holzfäller.
 
Sein Weg führte zu einer Bäuerin, die dabei war, Brot zu backen. „Warum bist du so fleißig, wo doch heute Christgeburt gefeiert wird. Willst du nicht dich bereit machen, das Christkind zu empfangen?“ ‚O gutes Kind, wenn du wüsstest, was ich schon erlebt habe. Nur leider keine Begegnung mit dem Erlöser, den wir so nötig hätten.’ Christkind weinte abermals einen Blutstropfen.
 
Es wanderte weiter und trat zu einem Handwerker. ‚Ja schau, du Kleiner, kommst mir wohl helfen? Sieh die vielen schönen Spielsachen; sie sollen
alle noch zum Heiligen Abend fertig werden. Du möchtest sicher etwas davon haben.’ „Warum bist Du so fleißig, wo doch heute Christgeburt gefeiert wird. Willst du dich nicht bereit machen, das Christkind zu empfangen?“ ‚Haha, was heißt das Christkind empfangen. Als Kind glaubte ich noch, es müsste sich doch einmal sehen lassen. Aber Märchen bleiben Märchen.’ Wieder fielen dem Christkind Blutstropfen in den Schnee.
 
Sein Weg wurde ihm immer schwerer. Eine Frau, die beim Zubereiten von Zuckerwerk und Weihnachtssternen war, sah das herankommende Kind mitleidig an. ‚Ja, sag mal, warum läufst du so allein zur Weihnachtszeit herum? Glaubst wohl nicht mehr an das Christkind. Ja, heute glauben Kinder nicht mehr, was Erwachsene selbst nicht glauben. Hast wohl keine Eltern? Kannst zu unseren Kindern kommen und das Weihnachtsfest mit uns verleben, wenn du willst.’ „Dank, gute Frau. Ich hab’ einen hohen Auftrag zu erfüllen.“ ‚Seltsam’, dachte die Frau und sah ihm lange nach.
 

In unendlicher Liebe zu den Menschen und mit tiefem Leid im Herzen kam das Christkind zum Künstler, der froh und unbekümmert in die Welt blickte. ‚Guter Junge, komm her, ich hab soeben eine schöne Weihnachtsgeschichte beendet. Darin kommt das liebe Christkind vor. Bleib hier und hör sie dir an, sie gefällt dir sicher.’ Das Christkind war so in Leid versunken, dass es unwillkürlich blieb. Der Künstler begann zu lesen und über seine Dichtung so in Begeisterung zu geraten, dass ihm entging, wie Christkind leise sich entfernte. Die Blutstropfen, die er hinterher entdeckte, erschauerten ihn. 

So ging es in die Kirche. Der Priester war beschäftigt, die Christmette vorzubereiten. Er hielt ein Blatt in der Hand und murmelte leise vor sich hin. Als er das Kind bemerkte, sprach er leutselig: ‚Du bist ein frommes Kind. Kommst alleine in die Kirche, wo jetzt doch alle Kinder zu Hause das Christkind erwarten und sich freuen auf die Spielsachen, die es bringt – und natürlich auf die Christmette. Soll ich dir vom Christkind was erzählen? Du musst dann aber ein wenig warten, ich bin gleich fertig.’ Inzwischen hatte das Christkind die Kirche verlassen und ging traurig, ach so traurig den Weg zurück zum Vater.

Es kam wieder in den tief verschneiten Wald, sah fast nicht mehr auf und dachte: Was wird Gott-Vater sagen, niemand will von mir etwas wissen, niemand erkennt mich. - Da stieß es unversehens auf ein traurig-einsames Menschenkind. „Warum bist du nicht bei den fröhlichen Menschen, die jetzt das Christkind erwarten?“ ‚Weil ich so traurig bin.’ “Warum bist du am Heiligen Abend so traurig?“ ‚Weil es kein Christkind gibt. Und ich, ich hab mich so auf die Begegnung mit dem Christkind gefreut wie auf die Hoch-Zeit meines Lebens. Alles ist mir genommen, alle Hoffnung. Ich will nicht mehr leben.’ „Du armes Menschenkind. Sag, wenn du dem Christkind begegnetest, wenn du vor ihm stündest, würdest du es erkennen?“ ‚O ja, ganz gewiß. Ich würde es sofort umarmen, nein – mich zu seinen Füssen werfen und wahrscheinlich vor Seligkeit vergehen.’ „Wodurch aber würdest du wissen, dass es das Christkind ist?“ ‚Von ihm müsste ein Glanz ausgehen von dem man sicher geblendet oder gar blind würde.’ „Und du meinst, dass du schon Augen hättest, diesen Glanz zu schauen?“ ‚Aber natürlich!’ „Bedenke, dass deine vergänglichen Augen nur vergängliche Dinge schauen. Wie könntest du damit den ewigen Glanz des Christkindes sehen? Meinst du nicht, dass du dafür andere Augen bekommen müsstest?“ ‚Oh,
wie wird mir da licht. Warum konnte mir das entgehen!’ „Das Christkind ist ewig, ist unsterblich. Es kann mit sterblichen Augen nie und nimmer gesehen werden.“ ‚Das ist bestimmt so! Aber wie kann es gesehen werden, wenn ich dazu keine Augen habe?’ „Dazu musst du Lichtaugen entfachen. Jeder Mensch ist im Innersten Licht, ohne es schon zu wissen. Als ich von den neuen Augen sprach, ging sogleich in dir ein Licht auf.“ ‚Ja – wie eine Sonne!’ „Du musst nun mit diesem Licht alles durchdringen. Es wird dann heller, immer heller, und dabei wirst du gewahr, dass der Lichterglanz von einem Weihnachtsbaum, dem Lebensbaum, ausgeht und dass die ganze Erde ein Weiheraum ist, der verzaubert war und auf deine Entzauberung gewartet hat.“
 
Da ward es in dem Menschenkind licht und immer lichter. Es sah mit sich vereint das Christkind, umgeben von unendlichem Lichterglanz, und die ganze Erde war ein von Gott-Vater erschaffener Weihnachtsraum.
 
                                                                             Martin Scherber  (1934/1972)
 

 

- Weitere 'Märchen' und Auszüge aus der Korrespondenz von Martin Scherber werden nach Sichtung veröffentlicht - 

 

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