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Äußerungen Scherbers zur

III. Symphonie in h-Moll

Aus dem Briefwechsel mit Lilo Hammann-Rauno

(alte Schreibweise)

 

 

21.10.1952

"Eine Dritte – soll ich die schreiben? Sie ist, glaube ich, schon konzipiert. Sag noch nichts weiter."

                                                   

24.11.1952

"Die Dritte trage ich wohl schon ähnlich wie Gabriele [Frau von Fred Thürmer]. Aber – sie wird wahrscheinlich sehr lange, sehr lange zur Geburt brauchen. Es wird sicher, wenn sie zustande kommt, eine sehr schwere Geburt."

 

13.12.1953

"Ja das ‚Kindlein’, wie Du es nanntest, macht mir viel zu schaffen. Außerordentlich interessant aber ist, sozusagen zuzuschauen, wie es heranreift. Das ist eine seltsame Geschichte. Da kann ich Dir gelegentlich einmal etwas davon andeuten, wenn Du willst."

 

17.1.1953

"Johanni - vielleicht habe ich bis dahin die Dritte für zwei Klaviere fertig. Ich versuch’s jedenfalls. Sie ist ja fürchterlich schwierig für mich. Ich kann halt zu wenig hinten und vorne. Schubert empfand das auch von sich. Er meldete sich im letzten Lebensjahr – also in seinem Todesjahr – zum Unterricht im strengen Satz an! *– Ich werde sie aber trotzdem fertig kriegen." 

*bei Simon Sechter, bei dem auch Bruckner Unterricht nahm.

 

22.1.1953

"Dritte: Ja, ob sie fertig wird, gelingt? Hilf nur immer geistig mit. Mehr und mehr bemerke ich, wie jeder Takt als Geschenk genommen werden muss."

 

17.3.1953

"Das wird ein ganz merkwürdiges Geschöpf. Es schreitet nur langsam in die physische Welt hinein. Ist etwa eine halbe Stunde schon lang. Hoffentlich geht die Geburt so weiter – hoffentlich wird ganz geboren. Ich habe immer eigentlich leise Angst: wird das Ding weiterwachsen? Es muss ja buchstäblich wachsen. Kein Takt kann da konstruiert werden. Davon hat man heute keine Ahnung. Das macht aber nichts. Die Kunst wird eben heute mit dem gewöhnlichen Bewusstsein gehandhabt. Leider gibt das nur keine Kunst. Kunst soll ja den Menschen aus dem Materiellen erlösen. Das kann natürlich nichts, das nicht aus tieferen Regionen kommt."

 

2.5.1953

"Ja, die Dritte ist schon wieder etwas gewachsen. 37 Minuten. Das sind schöne Begriffe, was? Nach Minuten! Aber das muss ich wissen. Ja, so manches ist da wieder hineingeheimnist. Vielfach ist sie wohl furchtbar – Furcht erregend mit ihrer Güte -, schauerlich weit und offen."

 

25.6.1953

"Und die Dritte? Sie wächst wie die Steine so langsam! Die tiefsten musikalischen Probleme treten mir da immer mehr ins Bewusstsein. Neue Inhalte wollen geboren werden. Ob ich sie überhaupt fertig bekomme? Eine sehr, sehr schwere Geburt ist das. Man kann das gar nicht sagen. Eine Symphonie früher war ja fast gar kein Problem dagegen."

 

1.8.1953

"Und nun geht es weiter an der Dritten. Der Schluss wächst sehr, sehr langsam aber stetig. Den Anfang machte ich vor einiger Zeit Frau Eckstein vor. Sie meinte, sie würde die beiden anderen in den Schatten stellen. Nun, hoffen wir das nicht. Die Welt der Ersten liegt mir tief am und im Herzen. Eigentlich bin ich mit diesen Welten mehr eins wie mit allem in der Welt."

 

23.9.1953

"Ob ich Kraft gesammelt für den Schluss der Dritten? Ja, nun, glaube ich, ich kann sie so lassen. Sie ist also vorläufig in Skizze abgeschlossen. Etwa 50 Minuten spielt sie. Augenblicklich setze ich sie für zwei Klaviere. Man kann das Kind ja wieder nicht zweihändig spielen, was mich im Stillen immer etwas ärgert. Ich kann sie allein eben nicht eigentlich spielen. Man muss sich das meiste denken."

 

13.10.1953

"Meine Dritte entsteht ja nun schon für zwei Klaviere ."

 

4. Advent 1953 abends.

"Augenblicklich kommt meine Dritte zu kurz. Was wird sie wohl ‚denken’? Für alles mögliche habe ich Zeit, nur nicht für sie. Ja, so treulos kann der Mensch über Nacht werden. .... Der Mensch ist etwas seltsames. Immer ist er auf der einen Seite zu selbstisch, zu aktiv – auf der anderen zu passiv – und daher kommen so viele Dinge, die das Leben so schwierig gestalten."

 

6.2.1954

"Ja, meine Musik wollen wir in die Hände der Götter legen, Liebe. Sie wird ihren Weg machen. Davon bin ich überzeugt. Ob ich zu Johanni die Dritte mit Held spielen kann? Ob sie fertig wird? ... Langsam wird sie fertig. Etwa 10 – 15 Minuten Spieldauer habe ich noch zu Papier zu bringen. Aber die sind auch entsprechend schwer. Das Zeug ist eben sehr, sehr polyphon und harmonisch sehr kompliziert und außerdem melodisch unheimlich frei."

 

11.2.1954

"Gerade höre ich an der Symphonie auf zu schreiben. Sie ist gerade sehr aufregend an dieser Stelle. Immer noch habe ich etwa zehn Minuten Spieldauer zu Papier zu bringen. Es ist schon spät am Abend."

 

18.2.1954

"Nimm doch, bitte vorlieb mit einem kurzen Brieflein. Ich will doch so gerne noch etwas an meiner Dritten schreiben. Immer habe ich Stunden. Da bleibt mir nur wenig zum Schreiben. Bald aber werde ich fertig werden. Dann beginnt die Instrumentation! Das ist erst eine langwierige Arbeit. Kannst Du da etwas ermessen?"

 

3.3.1954

"Sieh, eigentlich wollte ich an meiner Dritten weiterinstrumentieren – ja: beim Instrumentieren bin ich nämlich schon. Ich wurde kurz mit dem Auszug für zwei Klaviere fertig. Papiermäßig ist sie genau so lang wie die Zweite. Sie spielt aber, glaube ich, nicht ganz so lang. Ich konnte mich noch nicht aufschwingen, nach der Uhr sie durchzuspielen. Das Instrumentieren geht langsam und zäh. Ich bin ja so gewissenhaft. Was aber gibt es da alles zu bedenken!  –  Was kann da alles falsch gemacht werden! – Da braucht man eine Konzentration. - ...

Ob Du Dich aber da hineinversetzen kannst, wenn man etwas vor sich hat, das so etwas ist wie eine Partitur, die wahrscheinlich 300 Seiten werden wird? Da geizt man mit jeder Minute beinah! Außerdem habe ich noch so manches andere zu studieren und zu arbeiten. Stunden habe ich auch zu geben, Kurse zu halten. Vorbereitungen usw. Spazieren gehen muss ich auch unbedingt, das bin ich meiner Gesundheit schuldig. Tue es auch gerne. ... Ja, es ist schon eine große Entsagung. ... Und doch, ich brauche das."

 

11.3.1954

Das Instrumentieren geht auch wieder langsam. Es werden etwa 300 Seiten Partitur. Wie viele Noten müssen da etwa geschrieben werden? Und ist noch dazu das Gegenteil von dem, was die Menschen wollen! – 15 bis 20 Jahre, klagt Goethe, blieben die meisten Werke von ihm liegen, bis sie angenommen wurden. – Da kannst Du Dir verschiedenes ausrechnen. Damit ist natürlich noch nicht gesagt, dass meine Werke bleiben werden. Aber die Menschen brauchen sie, das weiß ich bestimmt."

 

18.3.1954

"Die Symphonie ist ja auch fertig, sie kann schon zu Johanni gespielt werden. Wir fangen nach Ostern schon an zu studieren. Von der Partitur habe ich vorerst 30 Seiten in Skizze. Ich schätze, dass es 300 Seiten etwa werden. Seltsam geht das Instrumentieren vor sich. Ich werde Dir davon einmal erzählen.

Wann wir wohl die seltsame II. hören werden? Noch gar die III? Wann wird die Dritte fertig sein? Sag Du es mir? Wann meinst Du?

 

13.4.1954

"Morgen bin ich tagsüber beschäftigt und außerdem wartet die Dritte, die – gestern übte ich mit Held daran – mich selbst überrascht und begeistert. Du wirst sie ja bald hören. An der Instrumentation habe ich schon einige Köpfe zerbrochen; sie lässt sich deshalb wahrscheinlich so schwer instrumentieren, weil sie ganz und gar herausgehört ist. Da brauche ich gedämpfte Trompeten, Posaunen , Hörner usw." 

 

1.5.1954

"Heute Abend werde ich dann an meiner Dritten arbeiten."

 

11.5.54

"An der Dritten wird schon eifrig studiert. Herr Held macht das Studium viel Freude, das ist ganz deutlich. Und die Instrumentation geht langsam vonstatten. Du wirst einen Blick hinein tun dürfen. Ob ich wohl dieses Jahr noch damit fertig werde? Je mehr ich Dir schreibe, desto weniger Hoffnung habe ich da. ... Eine etwas treulose Mutter bin ich halt. Du musst mir etwas Treue beibringen. Jeder hat eben von jedem zu lernen, wenn man’s genau nimmt! -

...Was denkst Du? Wenn wir die Dritte zu Johanni spielen, müssen wir auch etwas vorher lesen. ..."

 

25.5.1954

"Es ist nun wieder Abend geworden – ohne unser Zutun! - Die Sonne ist auch heute gewandert – auch während ich noch an meiner Dritten schrieb. Ich bin etwa Seite 76 der Partiturskizze. Schwer trennte ich mich eben. Ich wollte immer, immer weiterschreiben."

 

4.6.1954

"Was tut sich sonst? Ich arbeite immer weiter, wie Du Dir denken kannst. Die Dritte wächst langsam, ansonsten erfüllt sich mir alles mehr und mehr."

 

29.6.1954

"Eine Schülerin hat mir ein Gedicht geschickt, das sie unter dem Eindruck der Dritten niederschrieb. Es half mir gleich etwas, den Schmerz zu tragen."

 

4.7.1954

"Das Gedicht? Im ersten Teil ist es sachlich; im zweiten Teil verherrlicht es den Schreiber der Dritten. Das will ich deshalb noch nicht schicken. Vielleicht ein andermal. ..."

"...Fritz [Thürmer, Freund von Scherber] war schon da. Er hatte keine Zeit, wie immer, das ist ja eine bekannte Sache bei ihm. Trotzdem konnten wir ihm meine Dritte vorspielen. Er fand sie gut. Die 2. hat er mir sehr gelobt, auch in der Instrumentation. Er wollte sie in Hannover machen."

 

31.7.1954

"Ich habe gerade eine schöne weite Stelle zu instrumentieren. Ach, was sind das für Welten. Die möchte ich gar zu gerne mit Menschen leben."

 

19.8.1954

"Ansonsten arbeite ich fleißig auch an meiner Dritten. Die reift langsam aber stetig und sicher. Ich betrachte es wirklich als Geschenk, als Gnade, wenn ich die fertig bringe – fertig habe. Ob mir dann noch mal so ein „Brocken“ gegeben wird, gelingt?"

 

24.8.1954

"Außerdem möchte ich ja auch noch etwas arbeiten. Meine Dritte macht mir immer mehr Frieden. Sie ist ganz und gar eben für Orchester geboren. Es lässt sich alles großartig instrumentieren, d.h. alles spricht eben schon orchestral. Trotzdem aber müssen die einzelnen Aufteilungen gefunden werden. Das ist oft und oft sehr beschwerlich. Viel gibt es da zu bedenken."

 

6.9.1954

"Und meine Dritte? Die ist an manchen Stellen so schwierig zu instrumentieren, dass ich mich geradezu über mich selbst wundere, dass ich nicht unruhig dabei werde, denn es geht an manchen Stellen erschreckend langsam. So langsam beinah, wie es wächst – eine Pflanze z.B.

Nein, krank bin ich nicht. Wer aber dem Heil immer näher kommt, bemerkt eben, dass die sogenannte „Gesundheit“ ein ungesunder Zustand ist. Da sich herauszuarbeiten, bringt mancherlei Unpässlichkeiten mit sich. Mehr will ich nicht andeuten. Vielleicht einmal, wenn Du in meiner Nähe bist. Ich muss da die rechte Empfangsbereitschaft erst gegeben sehen. Zu manchen Dingen gehört eben eine große Kraft und ein bis ins letzte gehender Ernst. Manche Dinge können das ganze Leben in Frage stellen. --- Davor ist der Mensch noch geschützt. – Mehr und mehr müssen Todesmut errungen werden."

 

25.9.1954

"Und dann wartet die Dritte dauernd auf mich."

 

15.10.1954

"Mit der Dritten bin ich etwa Seite 172. Langsam geht das. Wir spielen sie – es wurde gewünscht – zu Weihnachten, voraussichtlich eine Bruckner Symphonie dazu."

 

 

28.10.1954

"Nun ... arbeitete ich an der Dritten. Eine sehr schwere Stelle instrumentierte sich, wie wenn die Toten mitgeholfen hätten. Sie machte sich beinahe ohne mich. – Ach ja, wenn die gehört werden könnte! – Ich wollte zwischendurch an Dich schreiben. Konnte mich aber nicht trennen von der Arbeit. – Jetzt habe ich 192 Seiten in Partiturskizze."

 

29.11.1954

"Meine Dritte „schreit“ dauernd nach mir. Je mehr Zeit ich da opfere, desto besser ist es, desto mehr kann Befriedigendes da erstehen. Ich muss, oder vielmehr ich möchte doch alle Möglichkeiten erstehen lassen. Sofort hinzuschreiben liegt mir ebenso wenig, wie sofort zu urteilen. Du weißt ja, wie langsam ich da bin."

 

4.Advent 1954

"Mit meiner Dritten werde ich doch nicht mehr bis Weihnachten fertig. Das Ding ist zu schwer, macht zu viel Arbeit. Und dann muss es noch ins Reine gebracht werden. Das dauert auch wohl lange."

 

24.1.1955

"Soeben wurde ich fertig mit Staubsaugen, Ofenreinigen, Kohlenholen usw. Ja, siehst Du! Solche Dinge warten auch auf mich! Und am Sonnabend wurde ich fertig mit – der Dritten! Sie ist also nun für Orchester in der Skizze da. Nun begann ich gestern bereits mit der Reinschrift. Das wird wahrscheinlich nicht mehr ein ganzes Jahr dauern. Der Schluss war auch besonders schwer. Was gibt es da alles zu bedenken! –

...

Zum Konzert hatte ich den Raum übervoll. Held ging gut mit. Er ist sehr schön konzentriert. Es gefiel allgemein."

 

4.2.1955

"Und sonst wirst Du ahnen, schon wissen, dass meine Dritte in Partiturskizze fertig geworden ist. Am 22.1. war für mich der Tag. Ich fühlte mich wie beschenkt. – Nun habe ich bereits die Reinschrift begonnen."

 

18.3.1955

"Immer wartet auf mich Arbeit, vor allem die Dritte."

 

3.4.1955

".. die Dritte ist erst bis zu Seite 84 fertig."                  

 

29.4.1955

"Und meine Dritte – die immer und immer nach mir schreit – ist bis zu Seite 103 gediehen. Das geht so langsam. Es ist auch so viel auf einer Seite."

 

27.5.1955

"Immer bin ich in Tätigkeit. Mit der Dritten geht es langsam vorwärts: Seite 141 bin ich erst. Jede Sekunde ist ausgenützt, und doch reicht die Zeit nicht einmal."

 

27.6.1955

"Ja, die Dritte liebe ich wie eine liebe Tochter! Jede Note schreibe ich mit einer Liebe in die Partitur, die wohl eine Mutter fühlt, wenn sie ein recht göttliches Kind hat – ähnlich der Maria mit dem Christus. Merkwürdig, dass mir bei jeder Note die Hand zittert. Die linke muss der rechten beistehen. – Sag’s aber niemandem!"

 

20.8.1955

"Ob Gabriele [Frau Thürmer] erzählt hat, dass sie hier meine Dritte mit hören konnte? So spielten wir sie noch nie. Die Hörer gingen ruhig friedlich mit. Sie lebte sich gleichsam selbst dar! – Heute schrieb ich zum ersten Mal wieder etwas daran. Ich bin nun auf Seite 211. Also habe ich noch etwa 100 Seiten zu schreiben."

 

5.9.1955

Die Dritte ist bis Seite 234 [im Brief 134, stimmt nicht mit vorhergehenden Briefen überein, wohl Tippfehler wie auch beim 221er Brief, dort 111 überschrieben] fertig. Im September wird sie wohl nicht fertig."

 

21.10.1955

"Auch von der Dritten musste ich Teile vorspielen. Sie empfand auch alles wesenhaft. ... Habe auch das Gefühl, dass ich in der Musik mehr lebe, als im äußeren Leben."

 

1.Advent 1955

"Die Dritte ist fertig geworden – gerade zu Martini - , denk, ich habe sie selbst mit gebunden!                                                                    

Inge fragt nach meiner Musik. Ja, was daraus wird? Was wird nun mit der Dritten?"

   

18.3.1956

"Was Du wohl B.W. [Bruno Walter] schreiben wirst? Natürlich von den drei Symphonien usw. Das soll ganz Dein Geheimnis bleiben!"

 

30.4.1956

"Mich wunderte ja, dass Br. Walter so schnell antwortete. „Partituren schicken“ --- gleich mehrere! Welche meinst Du nun? Die Kürzeste? Das ist die erste! Man müsste dann dazu schreiben, dass die anderen (II., III.) eben weitergehen. Ja, da siehst Du nun selbst, wie solche Dinge eben Schicksal sind. „Zufälligkeiten“ --- ob etwas erfasst, erkannt wird. Also, es soll probiert werden. Du aber sollst entscheiden, denn Du spielst hier die Hauptrolle. Du hast das begonnen. Jedenfalls danke ich Dir herzlichst dafür!"

 

23.5.1956

"Hat Dich vielleicht etwas verletzt, dass ich so wenig auf die Bruno Walter-Geschichte einging? Das aber verstehst Du doch sicherlich. Ich will da am liebsten gar nicht im Spiele sein. Ich freue mich natürlich riesig, wenn andere da etwas unternehmen. Aber ich möchte mich dabei selbstlos verhalten. Ich darf ja auch nicht geknickt sein, wenn er z.B. Dir sagt: wie können sie wagen mit so einem Zeug an mich heranzutreten? --- Schubert ist so etwas einmal geschrieben worden. – Und Du – Du darfst mir dann auch nicht geknickt sein. – Du wirst ja deshalb nicht „abfallen“, das weiß ich. Goethe gebrauchte einmal den Vergleich mit dem Korkbaum. So lange man nicht verkorkte, kümmerte sich niemand um den Korkbaum. Zuerst muss eben ein Bedürfnis für etwas da sein, dann bekommt es Bedeutung!"

 

"...Die Dritte hat ein Freund einem Dirigenten zur Ansicht gegeben. Ob daraus etwas wird?"

 

22.8.1956

"Der erste (Brief) kündigt mir an, dass eine Partitur zu B. Walter soll. Lange, lange habe ich das überlegt. Walter ist schon alt. Man kann das natürlich so und so auslegen. Aber – dazu kommt noch Amerika. – Nun – ich habe mich entschlossen, die Dritte vorzulegen. Zu diesem Zwecke musste ich alle Zeichen, die in der Partiturreinschrift sind, in meine Partiturskizze schreiben. Das war auch eine große Arbeit. Möglich ist doch, dass sie irgendwie nicht mehr in meine Hände kommt. Nun habe ich wenigstens ein Manuskript, von dem ich diese Symphonie im gegebenen Fall abschreiben lassen kann. Ich möchte mich nicht aufschwingen, sie noch einmal zu instrumentieren. Ich habe da ein seltsames Gefühl: es sind Geburten – und eine Geburt kann man nicht zweimal haben. Eine andere, ja – aber dieselbe noch einmal? --- Ich kann auch nichts ändern – das käme mir wie eine Unmöglichkeit und Lüge vor. – Also sollst Du das „Ding“ haben – und sein Weg in die Menschengemeinschaft soll versucht werden. Viel Hoffnung habe ich nicht. Aber – das alles steht ja nicht in meiner Macht. Möglich ist, dass gerade die Dritte – die ja moderner ist, dissonanter auch - im Westen die ersten Schritte macht. Die Zweite wäre meiner Meinung nach mehr für den Osten oder Norden. Schade, dass man da nichts erleben kann. Also, Liebe, in Deine Hände sei sie gelegt, von Dir aus gehe sie in die Welt – mit Gott – für Gott - !"

 

"...H.G. Müller erbot sich übrigens, mir die Partitur zu B.W. [Bruno Walter] zu schicken."

 

5.11.1956

"Dass die Partitur auf diesem Wege ging, ist ein schönes Zeichen, das freut mich. Nun muss sich zeigen, was werden kann! Leicht wird es Walter auch nicht werden! Das Ja und das Nein! Denn - ein Kunstwerk ist etwas eigenes! Es will gelebt sein – dann wächst es immerdar, wenn es ein Kunstwerk ist."

 

11.1.1957

"Hier brachte die Zeitung auch schon einen Hinweis auf den Abend [Uraufführung der II. in Lüneburg]. Auch, dass B. Walter die Dritte z. Z. hat. Wir müssen ihm Ruhe lassen. Das wird für ihn auch keine leichte Entscheidung sein. Er wird sich da von allerlei Vorurteilen auch befreien müssen. Das ist im Alter – wie überhaupt zu jeder Zeit – nicht mehr ganz leicht! – Die Menschen ahnen im allgemeinen ja gar nicht – ich glaube auch Du immer noch zu wenig – was man alles verlassen haben muss, um an diese Musik heranzukommen! Außerdem spricht da noch Menschenschicksal mit. Dann auch der Geist Amerikas! – Also nicht ihn mahnen ohne mich vorher zu verständigen! – Hier starb GMD Dressel, mit dem ich die Auseinandersetzung hatte. Er sagte am Schluss aber eindringlich, dass wir in Verbindung bleiben müssen. Er starb, als ich ihn gerade aufsuchen wollte."

 

Nürnberg 6.3.1957

"Und nun zu Bruno Walter! – Ich hörte, dass er sich zurückziehen will. In Amerika hat er sich schon verabschiedet. Im Mai ungefähr wird er das in Deutschland tun. Vielleicht hast Du das in der Zeitung gelesen. Da wird es vielleicht doch gut sein, wenn er befragt wird, und wenn Du ihm schreibst, ob er – wenn er selbst nichts mehr für das Werk tun kann – nicht vielleicht einen entsprechenden Dirigenten empfehlen könnte – oder zumindest ein paar empfehlende Worte beifügen möchte – falls er etwas an dem Werk fände.— Man könnte evtl. auch kurz von der Wirkung der Zweiten auf die Menschen berichten. Was meinst Du?"

 

18.3.1957

"Und Bruno Walter? Hast Du etwas unternommen? Hast Du die Zweite los? [Die Zweite wurde an einen anderen Dirigenten geschickt] Ja, wie ist das schade, dass man sie nicht öfters hören kann!"

 

25.4.1957

"Beverly Hills, California 

…Ich habe Herrn Scherber selber vor Kurzem geschrieben, und ihm mit Bedauern mitgeteilt, dass ich zwar den Eindruck einer hohen persoenlichen Gesinnung und eines ernsten Musikertums, leider aber nicht den einer musikalischen Schoepferkraft aus seinem Werk empfangen konnte. Ich bedaure sehr, einem so wertvollen Menschen, wie es Herr Scherber ohne Zweifel ist, diese Enttäuschung bereitet zu haben.            

Bruno Walter"

 

8.5.1957

"Am Sonnabend nahmen wir hier in Anwesenheit von mehreren Menschen recht gut meine III. und die II. auf. Die II. hat auch mich wieder stark beeindruckt – eigentlich erschüttert. Da leben schon seltsame Mächte darinnen!."

 

8.5.1957

"Und unser kleiner Münchhausen? Ich meine Bruno Walter – was schrieb der Dir? Mir schrieb er: Hohe Gesinnung würde aus dem Werk sprechen. Leider aber musste er feststellen, dass ich nicht die schöpferische Begabung hätte auszudrücken, was ich wollte. – Verstehst Du das? Kannst Du da mitdenken?! Er weiß, was ich will! Woher aber? Also, aus dem Werk! Und ich – ich kann doch gar nicht ausdrücken, was ich will! – Das ist wieder so ein Prachtbeispiel für das phrasenhafte Denken des heutigen Menschen! Er denkt sich unter hohe Gesinnung das, was er in sich trägt – und das will ich, meint er – und das findet er nicht in diesem Werke. Also: was er will, ist nicht in dem Werk! Nun, so etwas schmeißt mich nicht mehr um; im Gegenteil: das zeigt mir nur, wie korrupt das Denken und Empfinden selbst bei so anerkannten Geistern ist. Ich wäre nicht selbst zu ihm gegangen. Sei also nicht traurig über Deinen Misserfolg! –

Wie steht es mit der Zweiten? Da wird es nicht viel besser sein. Der große Ernst, das Nicht-im-Selbstgenuss-Aufgehen ist etwas, das den Heutigen ziemlich ferne liegt. Nicht ich soll Dir da leid tun, sondern die anderen!"

 

21.6.1957

"Walter noch einmal zu schreiben, ist aber nicht nötig. Schablonenmäßige Liebenswürdigkeit – keine aktive – liegt hier vor. Da ist für jede Sekunde Zeit schade. - Wollen wir den „hohen“ Herren in Frieden fahren lassen! Wie würde ihn die Einsicht kränken!"                  

 

16.3.1958

"Ja, kurz ging mir etwas von der Dritten im Kopf herum. Da dachte ich dann auch an den „Armen“ Bruno Walter. Dass doch irgendwo jeder ein armer Pinsel ist!!! – Wenn der wüßte! Wie klein hat er doch geschrieben, wie von oben herab, wie eingebildet! Ja, diese heutigen Künstler, Dirigenten sind eben Nachkommen der eigentlichen Priester und Könige! Heute aber wollen sie nur noch Macht ausüben und herrschen! Und --- sich feiern, verehren – und vergöttlichen lassen!"

 

28.1.1960

"Die Symphonien möchten zu den Menschen sprechen – vor allem auch die Dritte!"

 

6.9.61

"Bei der Zweiten habe ich das Gefühl, sie ist ein Pflanzengebilde. – Nicht bei der Dritten. – Ja, sicherlich: für diese Musik wird der Tag kommen! – Ja, Du meinst vielleicht nach der großen Not! Ja, sicherlich: die Menschen brauchen schon wieder irgendetwas, was sie aufschließt für tiefere Schichten des Daseins."

 

Weihnachten 1964

"Wie war der Eindruck der Siebenten von Bruckner? Man muss schon tief in Bruckner hineinsteigen können, um von meiner Musik etwas wirklich zu verstehen. Br. Walter – den ich kurz die 7. dirigieren hörte, allerdings wenig verstanden und sehr steif - gab ja zu, dass er erst mit 50 Jahren anfing Bruckner zu verstehen. Da konnte er natürlich von meiner Musik nichts verstehen. Denn von diesen Riesenmetamorphosen hat er wohl noch keine leise Ahnung gehabt. – Es übersteigt ja weit, was heute da ist und was die Heutigen sich gefallen lassen."

 

8.7.1966

"Weit wie das Meer sagte mir ein Komponist, der sehr sehr talentiert ist, nur nicht über sich hinaus will bzw. geht: Karl Winkler an der Akademie Wien."

 

7.10.1966

"Gestern ... hörten wir im Radio das 5. Klavierkonzert von Beethoven durch Furtwängler und Edwin Fischer (beide ja schon in der anderen Welt) - die ich wie mein „Brüder“ empfinde. – Fast in jedem Ton leuchtet bei ihnen ein Sternenlicht! ..."

 

10.5.1967

Bericht Scherbers über seinen Brucknerkreisbesuch in Krefeld u.a.:

"Die ganze Menschen-, Kunst-, Phantasie-, moderne Kunst- und in die Zukunft weisende Entwicklung raffte ich da zusammen. Im besonderen kam da heraus, dass die Phantasie abgewiesen werden muss als Herabdämpfung des Bewusstseins. Das gegenwärtige Wachbewusstsein aber nur die anorganische Methode zulasse, also Konstruktion, Komposition (Zusammensetzung – so wie auch die Sonaten und Symphonien bisher zusammengesetzt sind, ideell eine Einheit sind, aber nicht lebensvoll; also kein Organismus im wahren Sinne sind). Es muss ein Über-Bewusstsein entwickelt werden, ein Bewusstsein, das den Lebensbereich, den Lebensleib umfasst, etwas, das auch Leben wieder anregen kann. Heute wird auch nicht erlebt – sondern nur gefühlsmäßig-gemüthaft empfunden. Er-lebt kann eben nur werden, wenn der Lebensleib wieder frei wird. Dadurch aber zieht die Organik in Kunst, Wissenschaft, Religion und in das, was wir heute Leben nennen, ein. ..."

 

26.10.1967

 "Aber auch – dass ich immer sehr bedaure, dass im Leben, im praktischen Leben die Musik nicht Anwendung findet: denn hier sollte das Instrument gestimmt werden können, hier sollten die Dissonanzen fruchtbar gelöst werden können, ohne Dissonanzen keine Musik!"

 

18.3.1969

"Gerade das muss aufhören, müsste verschwinden, dass der, der etwas erlebt, schreibt, nicht weiß, ob das etwas ist – ist für die anderen Menschen auch. Das muss er eben ganz sicher haben, erleben; er muss bewußt und „kritisch“ d.h. sicher wie im Mathematisieren wissen, dass das etwas bedeutet bzw. die anderen Menschen weiter, dorthin führen kann, wo er in höheren oder tieferen Bereichen ist! Das muss er selbst sicher erleben – auch wenn alle ablehnen, was er schreibt!!! - ....."

 

"....  Nun, man hat eben keine Ahnung, dass Esoterik erst erreicht wird, wenn das im naturwissenschaftlichen wache, disziplinierte Erkennen (wo es nur Mathematisch-Mechanisches erkennen kann) tätig-wach in höhere Bereiche erlebend erhoben wird! Und dass dabei die Wissenschaft in Kunst und dann später in Religion mündet! – Anders ausgedrückt: Kunst und Religion müssen neu für eine klare, sichere Erkenntnis errungen werden!."

 

10.6.1971

"Inzwischen ist die Dritte im Druck fertig. Wunderschön ist die geworden. Nun soll sie nach und nach in alle Welt gehen. Die I. ist anschließend in Druck gegeben worden. Ihr soll ein Geleitwort beigegeben werden, das wahrhaft eine „Wucht“ ist. Du sollst es auch bekommen. Dann soll „unsere“ Zweite daran kommen. – Ja, wenn die Menschen darüber kommen!"

 

"Persönlich schicke ich eine Partitur als Geschenk an Wolfgang Wagner. Das weist Du doch auch noch nicht. Dazu einen Brief, in dem er Grundsätzliches findet – wenn er lesen kann oder mag! Ich deute am Ende an, dass ich mich freuen würde, wenn ich meine Erfahrungen, Erlebnisse mit ihm austauschen könnte. Nun – mal sehen!!"

 

16.6.1971

"Und die Partitur der III.? Wie „erstrahlt“ sie im Schwarz – und oben die schöne Schrift gleich einer Krone?"

"Heute vier Partituren verschickt: Wolfgang Wagner (Bayreuth), Fred Thürmer, GMD Hans Gierster (Nürnberg), Prof.  Karl Winkler  (Wien)."

   

 

 

Äußerungen Martin Scherbers zur Vierten

aus seinem Briefwechsel mit Lilo Hammann-Rauno

 

17.1.1953

"Bestimmt, ich sollte viel mehr tun, denn in mir rumort etwas – eine vierte?--- Seltsam, seltsam ist das."

 

16.3.1958

Was meinst Du, wer noch einen Erdenbürger bekommen hat!? Die Gabriele! Er heißt aber nicht Christiane – sondern Christian, Friedrich! Wir lachten doch damals so, als Fritz sagte: „Hoffentlich schreibst du nicht 10 Symphonien!“ – Denn als ich die II. Fertig hatte, war das 2. Kind da. Nun habe ich doch schon die 3. fertig. Folglich – konnte es nur das 3. Kind sein! --- Wenn ich nun aber über die 4. ginge? Hoffentlich geht mir nicht die „Puste“ aus! – Denn schon die Dritte hat mich fast umgebracht bei der Geburt."

 

 

 

An verschiedene Briefempfänger nach dem Unfall (1970)

 

An Kirill Kondrashin am 17.10.1971 mit einer Partitur der Dritten:

"Ich nenne diese Symphonie gerne "Die Russische". Warum? Weil darin wahre Brüderlichkeit lebt: alle Musiker sind gleich engagiert, wie in einer großen Brudergemeinschaft!... Wahre Brüderlichkeit ist der Musik hier (im  Westen) noch fern! Und doch: In ihr geht der Menschheit eine neue Sonne auf!"

 

An David Oistrakh am 16.8.1972:

"Ihr Interview in München ist erquickend durch Ihr urwüchsiges Wort, frei von der Leber weg gesprochen: "Mit guten Menschen hat man immer eine gemeinsame Sprache"...weil das, "was heute komponiert wird, keine Fortsetzung der musikalischen Ideen darstellt"... daß die heutige Musik  "Grundelemente negiert, wie Melodie, Rhythmus oder die organisierte Form" ...das spricht ein unverdorbenes Herz wieder im Tiefsten an! -   In meiner 'Dritten' wird ganz deutlich, was in der 'Ersten' noch etwas verborgen, keimhaft lebt: die vier Sätze der traditionellen Symphonie wollen eine Einheit, ein Organismus werden... wo alles in allem lebt ... Symphonie bedeutet ja 'Zusammenklang' von allem... Die 'Dritte' erweitert auch das Harmonische, wird aber nie atonal... Darin ist es, wie wenn die tiefen Stimmen Auferstehung feiern würden - wonach der russische Mensch allertiefste Sehnsucht hat."

 

An die Wiener Philharmoniker im Juli 1973 zusammen mit einer Partitur der Dritten:

"Inzwischen gehen in der Menschheitsentwicklung neue Erkenntnis- und Erlebnisfähigkeiten auf. Aus diesen heraus erstand die III. Symphonie." ... [Kein Bruckner-Epigonentum, sondern das] "Gegenteil: Verwirklichung der großen Entdeckung Goethes, des Metamorphosengedankens", [in der Musik. Dadurch in der Lage] "den Gefahren und Schwächen Bruckners zu entgehen."

 

 

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Bruckner-Kreis Nürnberg ~ Scherber-Kreis Nürnberg